Bei Rodwin
Die folgenden Jahre zählten nicht
unbedingt zu den schönsten meines Lebens. Rodwin unterhielt
eine Stätte des Lernens, in der bis zu 30 Eleven von
ihm unterrichtet wurden. Die Regeln, die in seinem
Haus herrschten, waren sehr strikt und ihre Nichteinhaltung
wurde auf das schärfste sanktioniert. Viele meiner
Mitschüler brachen ihre Ausbildung ab - die wenigsten
davon freiwillig! Ich hatte jedoch nicht vor, so leicht
aufzugeben und kämpfte mich Monat für Monat durch
seinen Un-terricht. Seine Art zu lehren, war dabei
sehr ungewöhnlich für einen Elfen. Obgleich auch er
der Zauberei mit Hilfe von Gefühlen und Intuition
verbunden war, ermahnte er uns immer wieder zu wissenschaftlichem
Arbeiten, so wie es den jungen Magiern auf den Akademien
der Menschen beigebracht wurde.
Sechs Jahre ging ich zu Rodwin
in die Lehre bis die Zeit meiner Abschlußprüfung gekommen
war. Als Aufgabe bekam ich gestellt, einen Gegenstand
meiner Wahl empfänglich für magische Energie zu machen.
Schnell hatte ich mich für einen hölzernen Stab entschieden,
den ich in meinem Ritual bearbeiten wollte, da dies
mir die beste Wahl erschien. Zum einen hatte ich vor,
zunächst nicht so-fort einer festen Beschäftigung
nachzugehen, sondern mich auf Wanderschaft zu begeben,
so daß ein Wanderstab gerade recht kam, zum anderen
benötigte ich eine Waffe, um nicht vollkommen wehrlos
zu sein. Vor allem aber stand für mich fest, einen
Gegenstand aus Holz zu wählen, denn Holz verkörperte
die perfekte Symbiose der vier Elemente: die Wurzeln
der Bäume reichten tief in die Erde, ihre Äste streckten
sie hoch in die Lüfte, Wasser sogen sie als Lebenselexier
in sich auf und verwandelten es in die Kraft des Feuers,
welche sie bei Bedarf freigaben. So ließ ich mir aus
einem edlen Holz einen Holzstab herstellen, verziert
mit vier eisernen Ringen, die die vier Elemente symbolisierten
und später die magische Kraft im Holz zusammenhalten
sollten.
Als der Stecken fertig war, machte
ich mich daran, meine Vorgehensweise zu durchdenken.
Einen ganzen Monat las ich in Büchern, probierte verschiedene
Ingredienzen und übte diverse Formeln ein, um mich
bestmöglich auf meine Abschlußprüfung vorzubereiten.
Die Nächte vor meiner Prüfung
vermochte ich kaum zu schlafen und am Morgen des entscheide-den
Tages schlug mir das Herz bis zum Hals. Die Prüfung
begann sofort mit einem kleinen Schock, da ich feststellen
mußte, daß Rodwin zwei mir unbekannte Männer an seiner
Seite hatte, die offen-bar dem Ritual beiwohnen sollten.
Obgleich ich einige warme Worte erwartet hatte, sagte
Rodwin nur: "Guten Morgen, Llano! Du kannst anfangen!"
und hüllte sich daraufhin in Schweigen. Es war ein
Wunder, daß ich beim Aufstellen der von mir benötigten
Gegenstände nichts fallenließ oder umwarf, so sehr
zitterte ich am ganzen Körper. Nachdem ich aber die
ersten Minuten meines Ritu-als fehlerlos hinter mich
gebracht hatte, wurde ich zunehmend sicherer. Ich
hielt mich streng an meine geplante Vorgehensweise
und - Saïla sei Dank - wurde ich von unerwarteten
Überraschun-gen verschont. Schließlich konnte ich
nach gut anderthalb Stunden mein Ritual überglücklich
been-den und nachdem ich die von mir verwendeten Ingredienzen
ein wenig zusammen geräumt hatte, erhoben sich die
drei Männer und Rodwin sprach: "Eine feine Arbeit
hast Du vollbracht, Llano! Ich bin sehr zufrieden
mit Dir, denn Du hast uns gezeigt, daß die Jahre in
diesem Haus nicht vergebens waren. Deine Ausbildung
bei mir ist nun abgeschlossen und es ist nun an der
Zeit, sich neuen Herausforderungen zu stellen. Dies
ist Guihertz, Leiter der Großen Bibliothek in Mallnberg
und dieser Mann ist Swerfda, Bewahrer des Wissens
am Hofe des Grafen Falk in Dreywassern. Beide suchen
einen jungen Zauberkundigen, den sie in ihre Dienste
stellen möchten. Sie werden sich mit Dir morgen früh
unterhalten, nachdem Du Dich ein wenig ausgeruht hast."
Mit diesen Worten verabschiedeten sich die drei von
mir und ließen mich alleine im Raum zurück. Schnell
räumte ich meine Sachen zusammen, ging auf mein Zimmer,
zog mir bequeme Sachen an und lief zu den Stallungen
des Dorfes, bei denen man Kuriere beauftragen konnte.
Voller Stolz schrieb ich einige kurze Sätze über meinen
erfolgreichen Abschluß an meine Eltern, entlohnte
den Reiter und gab ihm mein Schreiben mit auf den
Weg. Danach schlug ich einen Weg tief in den Wald
ein, um mich an einem idyllischen Teich, den ich oft
aufsuchte, von den Strapazen des Vormittages zu erholen.
Bei meiner Wanderung durch den Wald und dem Schwimmen
im See durchströmte mich ein solch großartiges Gefühl
von Freiheit, daß ich bereits jetzt den Entschluß
faßte, mich nicht sofort wieder an eine lang-fristige
Arbeit zu binden, sondern erst einmal meine neu gewonnene
Freiheit zu genießen.
Am nächsten Morgen teilte ich
Guihertz und Swerfda meinen Entschluß mit und obgleich
sie mich mit vielen Worten umzustimmen versuchten,
blieb ich bei meiner Entscheidung. Rodwin war nicht
sehr erfreut, daß ich den beiden ehrenwerten Herren
eine Absage erteilt hatte, dennoch respektierte er
meine Wahl.
|